Der
revolutionäre-musikalische Weg von der dissonanten Gesellschaftskritik zur musikalischen Harmonie mit den Gesetzen der Natur |
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JOURNALIST: Herr Hübner, könnte man sagen, daß Ihr musikalisches Engagement für die Natur verschiedene Phasen durchlaufen hat? PETER HÜBNER: Ja, das könnte man so nennen. Am Anfang standen harmonikale Kompositionen, die in ihrer Struktur denjenigen Harmonie-gesetzen folgten, die auch in den Werken der Klassiker zum Ausdruck gelangen. Dann, zur Zeit meiner Immatrikulation an der Musikhochschule Köln und von dort deutlich beeinflußt durch die allbeherrschende Lehrmeinung, die klassische Musik der großen Tonschöpfer fände ihre logische Weiter-entwicklung in der atonalen Musik der Internationalen Avantgarde, hatte sie die Gestalt einer scharfen und dissonanten musikalischen Gesellschaftskritik. In einem meiner ersten musikalischen Bühnenwerke, in Fluch oder Segen: doch, setze ich mich äußerst kritisch mit den natürlichen individuellen, sozialen und ökologischen Entwicklungsmöglichkeiten auseinander und ganz besonders auch mit den Hindernissen, die einer freien und natürlichen Entfaltung entgegenstehen. Und da paßt dann auch eine dissonante Form der musikalischen Beschreibung zu solcher disharmonischen Weltsicht. JOURNALIST: Ihren revolutionären musikalischen Weg von der dissonanten Gesellschaftskritik zur musikalischen Harmonie mit den Gesetzen der Natur erschließen wir vielleicht am sichersten aus diesem Ihrem ersten großen Bühnenwerk Fluch oder Segen: doch, wo Sie sich inhaltlich mit Gott und der Welt auseinandersetzen. Grillparzer PETER HÜBNER: Ja, Kchatom, die Hauptperson der Oper, betrachtet das viele Unglück, das er überall in der Welt sieht, als ein Werk des Teufels. Und er geht dabei soweit, daß er den Teufel sogar als den Schöpfer der Welt sieht, welche nach dessen Regeln so viel Leid entfaltet. Sein Freund Herax der Held der Masse warnt ihn vor solch einer radikalen Weltsicht und wird dabei selbst von den Naturgewalten erschlagen. Vor dem geistigen Auge Kchatoms schafft der Teufel die Welt und gibt ihr seine Gesetze. Sodann lehrt er alle diejenigen, welche in der Gesellschaft nach höheren Positionen streben, seine Gesetze in der Welt zu achten und besonders in der Erziehung konsequent anzuwenden. JOURNALIST: In dem großangelegten pantomimischen Ballett unter-suchen Sie die grundlegenden Mechanismen einer solchen teuflischen Erziehung, in welcher das Individuum in die Vermassung und den Konsum in die versteckte Sklaverei hineingezwängt wird und zeigen auch schon, wie man üblicherweise mit Außenseitern verfährt: mit solchen, die sich einem solchen Erziehungsmechanismus widersetzen. PETER HÜBNER: Entsprechend diesen modernen Erziehungsidealen der individuellen Unterdrückung zeigen sich dann auch im weiteren Verlauf der Handlung vor dem geistigen Auge Kchatoms die Entwicklungen der großen geistlichen Strömungen der Menschheit: der Religionen. Zu allen Zeiten schon wurden die Neuerer ausgestoßen, umgebracht oder für verrückt erklärt bis auf den heutigen Tag.Claudius JOURNALIST: In Ihrem Bühnenwerk Fluch oder Segen: doch stellen Sie die wesentlichen Stationen dieser Entwicklungen als die Manifesta-tionen der inneren Vorstellungen und Überlegungen Kchatoms auf der Bühne dar. Und er selbst findet sich schließlich aus seinen träume-rischen Überlegungen erwachend in der heutigen christlichen Zeit als der ewige entartete Revolutionär wieder. Und kaum berichtet er öffentlich von seinen Visionen über die unethische Situation der Welt, da wird er von der christlichen Institution aus der Kirche ausgeschlossen. PETER HÜBNER: Nun kann die Kirche in der heutigen Zeit den eigenständig denkenden Menschen nicht mehr so einfach öffentlich umbringen oder verjagen, sondern sie kann ihn heute nur noch öffentlich verunglimpfen und vor ihm nur noch weglaufen in den Schutz ihrer kirchlichen Bauwerke und umzäunten Liegenschaften. JOURNALIST: Das Anerbieten der Kirche gegenüber Kchatom, sich der Gemeinde gläubig anzuschließen, mit ihr in die Kirche zu gehen und dort seine freien Überlegungen in der Routine des religiösen Zelebrierens zu ersticken, lehnt Kchatom ab.Schiller PETER HÜBNER: Ja, er hat zuviel erkannt und erlebt, um hier noch den Rückweg antreten zu können.Morgenstern Und so durchdenkt er noch einmal alle bisherigen Erfahrungen von allem Anfang an in diesem Falle alles, was er auf der Bühne als Zuschauer erlebt hat, was sich aber eigentlich aus seinem geistigen Auge heraus in seiner eigenen Phantasie entwickelt hat: die Schaffung der Welt durch das Wort und die Hand des Teufels, sowie die Einhaltung seiner Gesetze durch die ehrgeizigen Gesellschaftsführer der verschiedenen Zeiten und die Anwendung seiner Gesetze bei der Erziehung neuer Generationen: das konsequente Hinleiten der ganzen Welt in den Prozeß der Selbst-vernichtung, in die individuellen, sozialen und ökologischen Krisen, welche Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermaßen an den Rand des existen-tiellen Abgrunds führen. JOURNALIST: Bei dem erneuten Rekapitulieren dieser ganzen Vorstellung von der Welt kristallisieren sich vor dem geistigen Auge Kchatoms zwei große Szenen seines Lebens heraus: Er erkennt sich selbst in der Rolle des Sisyphus, wie er immer wieder mit größter Anstrengung den gewaltigen Koloß seines Bemühens den hohen Berg der Evolution hinaufwälzt und wie ihm alles Mühen entgleitet, indem er altert, stirbt und resigniert, bevor er den Gipfel seines menschlichen Strebens erreicht und dies immer und immer wieder. Und er sieht sich selbst in der Rolle des Diogenes, wie er jenseits all solcher unfruchtbaren Bemühungen am Fuße des aus eigener Kraft unerklimmbaren Berges seiner Evolution in seiner Höhle sitzt und für die sisyphusschen Anstrengungen keinerlei Sinn hat.Seneca PETER HÜBNER: Und auch viele seiner Mitmenschen beginnen sich und ihr Leben mit dem vermeintlich erfolglosen Tun bzw. Nichttun von Sisyphus bzw. Diogenes zu identifizieren, und sie sagen sich nach zwei Jahrtausenden christlicher Erziehung: auch unser Leben gleicht in allen Zügen dem fruchtlosen Bemühen des Sisyphus: Wir beginnen mit großem Elan unsere Karriere in der menschlichen Gesellschaft, doch auf diesem Wege treten uns schon sehr früh Krankheit und Unglück entgegen, und schließlich werden wir alt und wissen nicht, wo die Reise unseres Lebens hinführt: wir sterben ohne Wissen. Und warum sollen wir nicht all dieses irrsinnige Bemühen um Dinge, die keinen Bestand haben und die uns auch keinen Bestand geben, fallen lassen und als Hippie oder Penner, als überzeugter Arbeitsloser in die Lebensspuren jenes großen Weisen Diogenes treten, der ja den schwitzenden und ächzenden Sisyphus immer wieder unverrichteter Sache zu seinen Füßen ankommen sieht.Fabiani Während die Mitmenschen Kchatoms aus ihrer religiösen, dogmatischen Beschaulichkeit ins Schwanken geraten und mittels der Visionen von Sisyphus und Diogenes die Unzulänglichkeit ihres bisherigen Bemühens erkennen, gelingt es Kchatom, in seinem Inneren die Einheit jener beiden scheinbar so grundverschiedenen Lebensrollen des Sisyphus und Diogenes zu erkennen was ihn plötzlich von allen Lebenssorgen befreit: er erkennt die Welt als das Produkt seines freien Willens und seiner schöpferischen Phantasie. |
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